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Dr. Klaus Dede 1. Juni 1935 - 5. Mai 2018
|
-1915-1918- |
1915,
17. 1. |
Bremen:
Die "Zufluchtsstätte für Frau-en und Mädchen"
an der Kornstraße wird eingeweiht. Offenbar ist der Neu-bau
ein Vorläufer der heutigen Frauen-häuser. |
1915,
26. 1. |
Bremen:
Die "Glocke"
brennt ab. Das Gebäude gehörte seit 1857 dem
Künst-lerverein. Die Ruinen wurden 1925 abgetragen. Das neue
Gebäude entstand 1928. |
1915,
16. 2. |
Bremen:
Eröffnung des Weser-Ems-Kanals
(heutiger Küstenkanal) |
1915,
18. 3. |
Bremen.
In der Stadt finden fünf öffent-liche Volksversammlungen
statt, in der über die Ernährungslage gesprochen wird.
Hintergrund: Durch die englische Blockade werden die Lebensmittel,
bei stagnierenden bzw. sinkenden Einkom-men, drastisch teurer und
verschwinden nach und nach überhaupt vom Markt. Die
Verwaltungen reagieren mit Rationie-rungsmaßnahmen, die
anfangs örtlich begrenzt sind und nur wenige Waren erfassen,
schließlich aber das gesamte Wirtschaftsleben bestimmen. |
1915,
1. 4. |
Bremen.
Brot wird nur noch nach Kundenlisten abgegeben. Die Rationie-rung
beginnt. |
1915,
25. 7. |
Bremen.
An die minderbemittelte Bre-mer Bevölkerung werden
Fleischkarten ausgegeben. Es gibt also teures Fleisch für
alle und verbilligtes Fleisch für Arme. |
1915,
2. 8. |
Bremen.
Die Brotkarten werden einge-führt. Jede Person erhält
wöchentlch vier Pfund. |
1915,
15. 8. |
Bremen.
An der Franz-Schütte-Allee wird eine neue Badeanstalt in
Betrieb genommen. |
1915,
15. 8. |
Bremen:
Eröffnung der Badeanstalt an der Franz-Schütte-Allee. |
1915,
8. 9. |
Bremen:
Der Senat stiftet das "Han-seatenkreuz". Eigentlich gehört
es zur Bremer Tradition, dass die Stadt keine Orden verleiht und
dass bremische Bürger solche auch nicht annehmen. Der Krieg
und die vaterländische Begeiste-rung, die zumindest offiziell
herrscht, machen den Traditionsbruch möglich. |
1915,
11. 10. |
Bremen.
Fliegeralarm. Sirenen warnen zum ersten Mal vor einem
Fliegerangriff, der aber diesmal noch nicht stattfindet. |
1915,
27. 11. |
Bremen:
Erneuter Fliegeralarm. |
1915,
30. 10. |
Bremen.
Der Senat setzt Höchstpreise für Milch, Butter und
Kartoffeln fest. Am 20. November 1915 folgt eine entspre-chende
Vorschrift für Schweinefleisch. |
1915,
22. 12. |
Bremen.
Die neue Kaiserbrücke wird teilweise für den Verkehr
freigegeben. |
1915
- 1916 |
Bremen:
Bau des Pumpwerks an der Bayernstraße. |
1915,
21. 4. |
Bremerhaven/Geestemünde/Lehe:
Die Firma Br. Bartsch wird sechs Tage lang bestreikt. Das
Ergebnis: 5 Pfennige Lohnerhöhung. |
1915,
3. 5. |
Geestemünde:
Arbeiter der Tecklen-borg-Werft streiken drei Tage lang wegen der
schlechten Lebensmittelver-sorgung. Der Arbeitskampf, an dem sich
Nieter, Stemmer, Dreher und Kessel-schmiede beteiligen, dauert
drei Tage und endet am 5. April damit, dass eine Lohnerhöhung
um 5 Pfennige gewährt wird. |
1915 |
Wilhelmshaven:
Der "Lange Heinrich"
wird in Dienst gestellt. Der Schwimmkan ist mit seinen 81.4 Metern
Höhe für die nächsten 30 Jahre das Wahrzeichen der
Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg
wurde er an die USA
übergeben, die ihn in Bremerhaven
einsetzten, wo er noch 1982 Dienst tat. |
1915,
7. 9. |
Wilhelmshaven:
Die neue Synagoge
an der Parkstraße
wird eingeweiht. Sie ersetzt das jüdische
Gemeindezentrum an der Börsenstraße,
das am 28. Februar 1902 eingeweiht wurde. Die neue Synagoge wurde
in der Nacht zum 10. November 1938 von Wilhelmshavener
Nazis niedergebrannt. An das Verbre-chen erinnert heute ein
Denkmal. Auf dem Platz wurden bis 1980 Autos abgestellt, seitdem
ist er jedoch zu einer Gedenkstätte umgestaltet worden. |
1915 |
Rüstringen.
Im August 1914 rechnete man nicht damit, dass der Krieg sehr lange
dauern würde. "Weihnachten sind wir wieder zu Hause,"
sagten die Sol-daten zum Abschied, als sie ausrückten. Die
Behörden meinten deshalb, dass es nicht nötig sei, sich
um die Versorgung der Bevölkerung zu kümmern. Dabei
herrschte schon in Friedenszeiten in manchen Familien Hunger,
weswegen es in Rüstringen
bereits im August 1914 eine "Volksküche"
gab, die die Ärmsten der Armen vor dem Verhungern schützte.
Nun aber stiegen, als erste Reaktion auf die britische Blockade
und die Produktionsausfälle infolge der Mo-bilmachung
zunächst einmal die Preise, wodurch die Not besonders der
ohnehin Armen natürlich vergrößert wurde. Die
Behörden, das waren im Allgemeinen die Stellvertretenden
Generalkommandos und im Falle der Jadestädte Behörden
der Marine, versuchten die Versorgung zu stabilisieren, indem sie
begannen, die Lieferungen zu rationieren: es tauchten
Lebensmittelmarken
auf. Zunächst wur-den sie nur für bestimmte Waren und
auch nur an Arme ausgegeben, ehe, ab Oktober 1915, allgemeine
Vorschriften des Bundesrates griffen, durch welche die Wirtschaft
zunehmend gesteuert wurde. Auch hier war zunächst war nur der
Verkehr mit einzelnen Warengrup-pen betroffen, bis dann im Jahre
1916 die allgemeine Rationierung
von Le-bensmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs
einsetzte. Dabei waren die Mengen, die ausgegeben werden konn-ten,
gering. In Rüstringen
gab es beispielsweise im Herbst 1916 125 g Butter je Person und
Woche, im Herbst 1917 dagegen nur noch 60 g. Hinzu traten
Preisvorschriften, die natürlich durch einen enormen
Schwarzhandel konterkariert wurden. Die erste Konse-quenz der
Kriegswirtschaft war, dass der Rüstringer
Volksküche
verboten wurde, Portionen an solche Menschen abzugeben, die nicht
aus der olden-burgischen Stadt Rüstringen
kamen. Dann wurde die Zahl der Volksküchen
vermehrt: Im Juni 1915 gab es in Rüs-tringen zwei neue
Volksküchen.
und im Jahre 1917 deren vier. Erstaunlicher-weise konnten dann die
Anstalten eine nach der anderen geschlossen werden, so dass es am
4. November 1918 keine städtische Volksküche
mehr gab. Die Notleidenden, die übrig blieben, wurden durch
den Werft-Wohlfahrtsverein
in Wilhelmshaven
versorgt. Als Ration wurde im August 1918 dabei je Person und
Woche ausgegeben: 125 g Graupen, 250 g Erbsen, 3 Suppenwürfel,
125 g. Marmelade, 250 g Kaffeemischung, 250 g Sauerkraut und 125 g
Käse. Worauf die Verbesserung der Versorgung zu-rückzuführen
war, wird in der Literatur, die ich gefunden habe, nicht erklärt.
Noch eine Bemerkung: Obwohl den Fachleuten - wie beispielsweise
dem älteren Moltke - klar war, dass der "Krieg der
Zukunft"sich über Jahrzehnte hinziehen würde, was ja
auch tatsächlich so geschah, traf die Reichsleitung Kaiser
Wilhelms II. weder Vorbereitungen für die Versorgung der
Bevölkerung in diesem Katastrophenfal, noch tat man irgend
etwas, um den Frieden zu sichern - im Gegenteil: Als die
Gelegenheit gekommen zu sein schien, einen frisch-fromm-fröhlichen
Krieg zu führen, ergriff man diese mit einer unglaublichen
Leichtfertigkeit, ja, wie ich meine, kriminellen Energie, um den
Orlog auszulösen. Und als dann die Konsequenzen spürbar
wurden, hat man die notwendigen Maßnahmen improvi-siert.
Damit sammelte man aber die Erfahrungen, die die Nazis nutzten,
als sie ihrerseits den Zweiten Weltkrieg vorbereiteten und
auslösten. Beispiels-weise wurde dann die Rationalisierung
der Lebensmittel sofort und überall ein-geführt, was
übrigens sehr zur Stabi-lisierung der Stimmung beigetragen
hat. |
|
-1916- |
1916 |
Bremen.
Bau des "Arbeiteramtes" der AG Weser. Hier holten die Proleten
Jahrzehnte lang ihre Lohntüten ab. Das Haus stand seit 1983
leer und wurde dann in ein "Lichthaus" umgebaut, in dem
Ausstellungen und Konzerte statt-finden. |
1916,
9. 1. |
Bremen.
Die "Bremische Correspon-denz" erscheint zum ersten Mal. Die
sozialdemokratische Zeitung hält sich bis zum 31. Dezember
1916. |
1916,
3. 2. |
Bremen.
Erneuter Fliegeralarm. |
1916,
25. 2. |
Bremen.
Einführung der Butterkarten. |
1916,
27. 2. |
Bremen:
Die Läden werden sonntags um 10 Uhr geschlossen. (Die
gesetzlich ge-regelten Ladenschlusszeiten war eine Folge der
Warenknappheit im Ersten Weltkrieg und wurden danach beibehal-ten.
Vorher war es nur üblich, an Sonn- und Feiertagen während
der Gottes-dienste, also von 10 bis 12 Uhr, die Läden
geschlossen zu halten. ) |
1916,
11. 3. |
Bremen.
Die Behörden teilen mit, dass der Bedarf an Brotgetreide bis
zu neuen Ernte in Deutschland gedeckt sei und dass man sogar noch
eine Reserve habe. Meldungen dieser Art werden während des
Krieges zur Routine. An dem zuneh-menden Hunger in der Bevölkerung
ändert sich dadurch nichts. |
1916,
19. 3. |
Bremen.
Die neue Kaiserbrücke wird vollständig dem Verkehr
übergeben, |
1916,
3. 4. |
Bremen.
Eröffnung der neuen städ-tischen Mädchenschule an
der kleinen Helle. Sie ist ein Lyzeum und eine Studienanstalt. |
1916,
5. 6. |
Bremen.
Der Kaiser passiert auf der Rückfahrt von Wilhelmshaven den
Bre-mer Bahnhof und nimmt sich hier eine halbe Stunde Zeit, um die
Delegation des Senats zu empfangen. |
1916,
28. 7. |
Bremen.
Karl Liebknecht
wird in Berlin zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Aus diesem
Anlass treten die Arbeiter der AG Weser
in den Streik. Zu solchen und ähnlichen Ereignissen ist es
während des zweiten Weltkrieges in Bremen überhaupt
nicht und auch sonst innerhalb des Deutschen Reiches so gut wie
nicht gekommen. Das lag sicherlich auch daran, dass in der
Nazizeit die Repression effektiver wirkte, außerdem war die
Versorgung der Bevölkerung gleichmäßiger und damit
gerechter, bis 1943 auch wohl reichlicher als im Ersten Weltkrieg,
aber entscheidend war doch wohl, dass die völkisch-christliche
Propaganda, die sich Ersten Weltkrieg im Vergleich zur
Vorkriegszeit enorm intensivierte, danach, während der
kur-zen Zwischenkriegszeit, kaum nachließ, und dann in der
Nazizeit selbst schließ-lich Formen annahm, die alles bis
dahin Erlebte in den Schatten stellte, wobei jede abweichende
Meinung verstummen musste, was zur Folge hatte, dass der Konsens
des deutschen Bevölkerung im Geiste der christlich-völkischen
Ideolo-gie bewahrt wurde - im Prinzip bis heute, wie sich hier
in Oldenburg an dem Kult um August Hinrichs und Kaiser-Wilhelm II.
zeigt, die beide deshalb verehrt werden, weil man sich nicht
traut, denjenigen zu nennen, der eigent-lich gemeint ist und
dessen Wiederkehr man erhofft - den "heimlichen
Kai-ser"nämlich, um mit Langbehn zu spre-chen. |
1916,
21. 10. |
Bremen.
Eröffnung der Brautstraßen-brücke. |
1916 |
Bremerhaven/Geestemünde.
Die Fisch-wirtschaft wird in zwei Gesellschaften konzentriert: Die
Kriegsfischhandels-gesellschaft "Weser" ist für die
Orga-nisation der Fänge zuständig, die
Kriegsfischindustrie "Weser" für die Verarbeitung und
Verteilung der Fänge. Allerdings waren die Möglichkeiten,
tatsächlich Fisch an Land zu bringen sehr begrenzt, zum
einen, weil die Kaiserliche Marine die Fischdampfer als
Vorpostenboote verwendete, zum ande-ren weil die Minen in der
Nordsee den Fischfang zu einem sehr riskanten Un-ternehmen
machten. Ab Mai 1915 konnte infolgedessen nur ein Teil des
Kat-tegatts freigegeben werden. Was die wenigen und veralteten
Fischdampfer an land brachten, erzielte allerdings traum-hafte
Preise. So stieg beispielsweise der Preis für einen Zentner
Schelfisch von 32,50 Marl im Jahre 1913 auf 101,50 Mark im Jahre
1917. |
1916,
6. 12. |
Bremerhaven
und Lehe:
Hungerrevolte der Bevölkerung. Frauen und junge Männer
und Frauen schlagen Schaufens-terscheiben ein und stehlen Brot.
Der Stadtkommandant verhängt den Belage-rungszustand und
lässt Militär durch die Stadt patroullieren. Die
Maßnahme wird am 11. Dezember teilweise wieder auf-gehoben.
Danach herrscht Ruhe, obwohl die Versorgungslage immer schlechter
wird. |
1916,
23. 8. |
Bremerhaven:
Das Handels-Uboot "Deutschland"
kehrt aus den USA
zu-rück. Das Schwesterschiff "Bremen"
geht auf der Reise verloren. |
1916 |
Lehe:
Die Stadt hat ein neues Amtsge-richtsgebäude. |
1916,
12. 10. |
Elsfleth:
Elsflether
Werft gegründet. |
1916 |
Elsfleth.
Die bisherige Navigationschule
wird in Seefahrtsschule umbenannnt. |
1916,
24. 6. |
Rüstringen.
Die Stadt ernennt die Admi-räle Scheer
und Hipper
zu Ehrenbürgern. Wilhelmshaven
verleiht dem Chef der Hochseeflotte
erst im August 1918, als dieser nach Berlin
abging, die Würde. Hipper,
der Befehlshaber der Aufklä-rungsgruppe und letzte Chef der
Hoch-seeflotte erhielt offenbar von der preu-ßischen
Jadestadt diese Auszeichnung nie. |
1916 |
Wittmund.
Das Heer beginnt mit dem Bau des Flugplatzes "Wittmundhaven".
Standort ist der Wittmunder Wald,
der 1911 abgebrannt und nur zum Teil wieder aufgeforstet worden
war. Auf der brach liegenden Fläche sollten nunmehr
Luftschiffe
stationiert werden, die da-mals gegen England eingesetzt wurden.
Für den Platz sprach damals, dass ein Bahnanschluss schon
vorhanden war. Bereits am 17. November 1916 wurde in
Wittmundhaven
ein Luftschiff stationiert. Am 5. April 1917 wurde der Stützpunkt
der Kaiserlichen Marine
übergeben. Die hier stationierten Luftschiffe
waren an deutschen Terrorangriffen auf englische Ziele beteiligt.
Der Krieg endete jedoch, als am 8. November 1918 die Soldaten ihre
Offiziere gefangen nahmen. Die äußerst empfindlichen
Luftschiffe
gingen nach dem Waffenstillstand teils durch Sabotage, teils
durch Ungeschicklichkeit der Mannschaften verloren. |
|
-1917- |
1917 |
Bremen:
Im März streiken die Arbeiter der AG Weser
erneut. Am 31. März 1917 treibt die Polizei mit Säbeln
die hun-gernden Massen auseinander. |
1917,
7. 2. |
Bremen:
Die Schulen der Stadt bleiben wegen des Kohlenmangels geschlossen,
jedoch dienen fünf Schulgebäude der Bevölkerung als
Wärmehallen. |
1917,
28. 7. |
Bremen:
Vom Dom werden die Glocken "Hansa" und "Willehad"
abgegeben. Man braucht die Bronze für Munition. |
1917,
2. 10. |
>Bremen:
Die Stadt verleiht dem Chef des Großen Generalstabs,
Generalfeldmar-schall Paul v. Hindenburg,
die Ehren-bürgerschaft. |
1917 |
Bremen:
Die Friedhöfe vor dem Doven-tor
werden aufgehoben. |
1917 |
Bremerhaven/Geestemünde/Lehe.
Elf Bau-geschäfte werden bestreikt. Weite-re Einzelheiten
sind nicht bekannt. |
1917,
3./4. 4. |
Bremerhaven.
Schmiede, Schiffbauer, Kesselschmiede, Tischler Maschi-nenbauer,
Zimmerer, Klempner, kurzum: Arbeiter aller Sparten des
Norddeut-schen Lloyd demonstrieren in Bremer-haven gegen die
schlechte Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln.
Es beteiligen sich 293 von 882 Beschäf-tigten, also bei
weitem nicht alle. Von Ergebnissen wird nichts berichtet. |
1917,
14. 5. |
Geestemünde:
Der Fischdampfer "Fulda" sinkt in der Nordsee. Die Be-satzung
ertrinkt. |
1917,
24. 11. |
Geestemünde:
Der Fischdampfer "Amalie" sinkt in der Nordsee. Die Besatzung
ertrinkt. |
1917,
11. 8. |
Lehe:
Die Leher Sparkasse
bezieht ihr neues Verwaltungsgebäude an der Ha-fenstraße.
|
1917,
6. - 8. |
Wilhelmshaven:
Unruhen auf den Schif-fen der Hochseeflotte.
Sie bauen sich über lange Zeit auf. Dabei scheinen die
Besatzungen der Dickschiffe sich in den Jahren von 1914 bis 1916
im wesent-lichen loyal zur Führung verhalten zu haben. Dabei
gab es durchaus Grund zu Beschwerden. Man denke allein dara, dass
auf den Linienschiffen und Kreuzern jeweils 800 bis 1000 Mann und
mehr auf engstem Raum über Monate und Jahre hinweg zu
zusammengepfercht lagen, dann die riesigen sozialen Unterschiede,
um nicht von Gegensätzen zu sprechen, zwischen den Heizern
und Kohlenziehern im Bauch der Schiffe und dem Deckspersonal, von
den Offizieren auf der Brücke ganz zu schweigen und
schließlich die allgemeine Untätigkeit, die durch
sinnlose Putzarbeiten nur verdeckt wurde - das alles musste doch
zu einem Gefühl der Frustration führen, das durch die
gelegentlichen Vorstöße der Flotte in die Nordsee kaum
abgebaut werden konnte. Immerhin: So lange es an den Landfronten
Erfolge gab und ein Ende des Krieges abzusehen war, ertrugen die
Mannschaften das alles, aber im Jahre 1917, nach der
Kriegserklärung der USA und angesichts der enormen
Versorgungs-Engpässe auch in der Marine, häuften sich
die besonderen Vorkommnisse:
- 6.
Juni 1917: Matrosen auf der "Prinzregent Luitpold"
treten in einen Hungerstreik;
- im
Juni verweigern 30 Mann auf der "Helgoland"
den Dienst;
- am
4. und 5. Juli sowie am 11. und 12. Juli verweigern Matrosen
auf dem Linienschiff "Friedrich der Große"
den Dienst;
- 19.
Juli 1917 erneut Hungerstreik auf der "Prinzregent Luitpold";
- 20.
Juli 1917: 140 Mann verlassen unerlaubt das Schiff;
- Juli
1917: Beschwerden auf der "Posen"
wegen der Verpflegung;
- 1.
und 2. August 1917: auf der "Prinzregent Luitpold"
verlassen 49 Mann unerlaubt den Dienst von denen elf Mann
bestraft werden, was zur Folge hat, dass 600 Mann in den Streik
treten.
- 2.
August: Demonstrationszug von Matrosen der "Prinzregent
Luitpold"
nach Rüstersiel;
- 10.
August: Auf der "Posen"
verweigern Matrosen den Dienst und schließlich am
- 16.
August: Es kommt zu weiteren Unruhen auf der "Westfalen"
und der "Rheinland".
Bemerkenswert
ist an dieser Liste, dass die Besatzungen der Kleinen Kreuzer und
der Torpedoboote nicht beteiligt waren. Offenbar war hier der
emotionale Zusammenhalt der Offiziere mit den Menshaften stark
genug, um Revolten zu verhindern, obwohl die materiellen Gründe
dort dieselben waren wie auf den Dickschiffen. Hier ging es in
allen Fällen im wesentlichen um die unzurei-chende
Verpflegung, wobei besonders ärgerlich ist, dass die
Mannschaften sehr schlecht versorgt werden, die Offiziere dagegen
erkennbar sehr viel besser. Die Flottenführung ändert
daran nichts, dafür werden zehn Mann vor ein Kriegsgericht
gestellt, von denen zwei, nämlich Albin Köbis
und Alfred Reichpietsch,
zum Tode verurteilt und am 5. September 1917 in Köln-Wahn
erschossen werden. (In Berlin gibt es, wenn ich mich richtig
erinnere, ein "Reichpietsch-Ufer", in Wilhelmsha-ven dagegen
erinnert nichts, nicht einmal ein Straßenname, an diese
Martyrer der deutschen Demo-kratie. Pfui.) |
|
-1918- |
1918,
31. 1. |
Bremen:
Streik bei der AG Weser.
Er richtet sich gegen die schlechte Versor-gung der Bevölkerung
und gegen den Wucher. Überdies fordern die Streiken-den die
Demokratisierung der bremi-schen
Verfassung und einen Verständi-gungsfrieden. Der Ausstand
bricht am 3. Februar zusammen. "Das große revolu-tionäre
Potential unter der Werftbeleg-schaft stellte einen wesentlichen
Träger der Entwicklung während Revolution und
Räterepublik
1918/1919 in Bremen
dar." (Hochschule Bremen:
Spanten und Sektionen,
1986, S. 33) |
1918,
17. 10. |
Bremen
Die Schulen werden wegen der spanischen Grippe bis zum 11.
Novem-ber 1918 geschlossen. |
1918,
14. 11. |
Bremen:
Der Arbeiter- und Soldatenrat löst den Senat auf. |
1918,
18. 11. |
Bremen.
Im Baugewerbe wird der 8-Stundentag eingeführt. |
1918,
22. 12. |
Bremen.
Der noch vom Arbeiter- und Soldatenrat
eingesetzte Ausschuss für Unterricht und Bildung fordert die
Ab-schaffung der christlichen Indoktrination in der Schule. Damit
setzt eine Debatte ein, die erst durch eine Entscheidung des
Reichsgerichts
vom 21. November 1920 dahingehend entschieden wird, wonach in den
Ländern, in denen der Religionsunterricht abgeschafft war,
also außer in Bremen
noch in Hamburg
und Sachsen,
nunmehr die Regelung der Reichsverfassung
zu gelten habe. So ist es im Prinzip bis heute geblieben. - Die
zwangsweise christliche Indoktrination der Schüler beginnt in
Bremen wieder am 1. Februar 1921. |
1918,
6. 1. |
Bremerhaven/Geestemünde/Lehe:
Streik in der Metallwarenfabrik Wilkens. Von den 151 Beschäftigten
sind vier Männer und 30 Frauen beteiligt. Der Ausstand endet
am 8. Januar 1918, nachdem die Unternehmensleitung einige
Zugestän-dnisse gemacht hat, Von den Streiken-den werden aber
nur 12 Personen wie-der eingestellt. |
1918 |
Bremerhaven/Geestemünde/Lehe:
Der Transportarbeiterverband organisiert in den Unterweserorten im
letzten Kriegs-jahr zwei Streiks, von denen weitere Einzelheiten
leider nicht bekannt sind. An dem einen waren 200 Arbeiter
beteiligt. Er erfasste 20 Betriebe und dauerte vier Tage. Er
endete mit einem Teilerfolg. Bei dem anderen machten 1430 Proleten
mit, die aus 55 Betrieben kamen. Diesmal dauerte der Ausstand
eine Woche. Er endete ebenfalls mit einem Teilerfolg. |
1918
|
Bremerhaven:
Bei einem Einbruch in das Geschäft de Harde in der
Bürgermeis-ter-Smidt-Straße
werden Mäntel, Blu-sen und Kostüme im Wert von 18.000
Mark entwendet. Der Vorfall wird hier erwähnt, weil er ein
Beispiel für die anwachsende Kriminalität im Ersten
Weltkrieg
ist, die wiederum eine Folge der allgemeinen Not war. |
1918,
25. 7. |
Geestemünde/Nordenham:
54 Mann der Fischdampfer-Besatzungen (Matrosen und Heizer) treten
in den Streik, der fünf Tage lang bis zum 30. Juli 1918
andauert. Er soll erfolgreich gewesen sein. |
1918,
30. 11. |
Geestemünde.
Streik auf den Werften von Seebeck und Tecklenborg. Anlass ist die
schlechte Lebensmittelversor-gung. Hunger-Demonstration. Beteiligt
sind etwa 500 Arbeiter. |
1918,
31. 1. |
Wilhelmshaven:
Die allgemeine Kriegs-müdigkeit macht sich in einer
Kundge-bung Luft, die auf dem Banter
Schützen-platz
die Werftarbeiter vereinigt. Man fordert "Frieden, Freiheit,
Völkerver-ständigung und die Abschaffung des
Drei-Klassen-Wahlrechts in Preußen.
Den Gewerkschaften
gelingt es aber, ein Übergreifen des Berliner
Munitions-arbeiterstreiks auf Wilhelmshaven zu verhindern. |
1918,
31. 1. |
Oldenburg/Blexen:
Gründung der Schiffswerft Oldenburg AG. Sie siedelt ihren
ihren Betrieb in der Gemeinde Blexen an und zwar zwischen den
Me-tallwerken und dem Kabelwerk. Die Produktion beginnt 1921,
beschränkt sich aber auf Reparaturen und den Neubau kleiner
Schiffe. Im Jahre 1925 wird der Betrieb eingestellt und die Firma
zum Ende des Jahres 1932 liquidiert. Hintergrund: Nach dem
vierjährigen Krieg hoffte man wohl auf einen Schiffbau-Boom,
weil man meinte, dass nach dem Friedensschluss eine Menge Schiffe,
die man nicht mehr brauchte abgebrochen werden müssten,
während durch den wieder auflebenden Handel ein neuer Bedarf
an Schiffsraum entstehen würde. Der Gedanke war zwar im
Prinzip richtig, aber die Realität sah leider anders aus. |
1918,
30. 10. |
Wilhelmshaven:
Auf Schillig-Reede
sammelt sich seit dem 15. Oktober 1918 die deutsche Hochseeflotte
"klar zum Auslaufen". Hintergrund: Obwohl seit dem 3. Oktober
das deutsche Waffenstillstandsangebot an die Alliierten vorliegt,
soll die Hochseeflotte am 30. Oktober 1918 "zu einem letzten
Schlag" im englischen Kanal auslaufen, angeblich um die
Westfront zu entlasten, tatsächlich wohl, um "mit wehender
Flagge" unterzugehen, damit sie nicht ausgeliefert werden
konnte. Angesichts dieser Situation kommt es auf den Schiffen zu
Unruhen. Schon am 27. Oktober waren von den Großen Kreuzern
"Derfflinger"
und "Von der Tann" sowie vom Kleinen Kreuzer "Strassburg"
Teile der Besatzung vom Landurlaub nicht zurückgekehrt. In
der Nacht zum 30. Oktober begannen überdies auf den
Linienschiffen "Kronprinz Wilhelm",
"Markgraf",
"König"
und auf dem Kleinen Kreuzer "Regensburg"
Meutereien. Zentrum der Aufstands-Bewegung standen aber die
Linienschiffe "Helgoland"
und "Thüringen",
auf denen am 29. Oktober 1918, also unmittelbar vor dem Auslaufen,
die Feuer aus den Kesseln gerissen wurden. Der Flottenchef,
Admiral v. Hipper,
setzte daraufhin Seesoldaten und Torpedoboote
ein, die von der "Thüringen"
350 Mann und von der "Helgoland"
150 Mann als Gefangene abführten, aber an ein Auslaufen der
Flotte war danach nicht mehr zu denken. Innerhalb der
Mann-schaften eskalierte die Bewegung weiter: am 6. November
verließen die Besatzungen massenhaft ihre Schiffe unnd
vereinigten sich mit Matrosen, die an Land in den Kasernen
untergebracht waren, zu einem riesigen Demonstra-tionszug. Der
Stationschef Admiral v. Krosigk hatte den Schusswaffenge-brauch
verboten und empfing eine Delegation der Demonstranten - die
Revolution nahm ihren Lauf, nicht zuletzt deshalb, weil die
Offiziere, die vermut-lich froh waren, nicht den Heldentod sterben
zu müssen, sich passiv verhiel-ten. Nur auf der "König"
kam es zu einem Zwischenfall, bei dem Offiziere starben, weil sie
sich weigerten, die Fahne des Kaisers niederholen zu lassen. Am
Abend des 6. November hatte sich im Offizierskasino unter der
Leitung des Oberheizers Bernhard Kuhnt
der 21er Rat konstitutiert, der nun in Wilhelmshaven
und Rüstringen die Macht innehatte. Der Stationschef
resignierte am 8. November. Auch auf der nationalen Bühne
traten jetzt sehr schnell Veränderungen ein; Am 10. November
1918 ging der Deutsche
Kaiser ins
Exil und am 11. November 1918 trat der Waffenstilstand in Kraft.
Der Chef der Hochseeflotte hatte inzwi-schen die Verlegung der
Linienschiffe "König",
"Bayern",
"Kronprinz Wilhelm",
Markgraf"
und "Großer Kurfürst"
nach Kiel
befohlen, weil er hoffte, so die Mannschaften wieder in die Hand
zu bekommen, erreichte aber auf diese Weise nur, dass die
Auf-standsbewegung jetzt auch die anderen Häfen der Flotte
erfasste. In Kiel kommt es zwar zu kurzen Kämpfen, bei denen
acht Menschen sterben, aber am 11. November beherrschte der
Arbeiter- und Soldatenrat
die Stadt. Entscheidend war, dass sich nunmehr die Arbeiter-schaft
mit den Matrosen solidarisierte, und dass sich auch die Soldaten
des Feldheeres weigerten, den Widerstand fortzusetzen. Das
Kaiserreich brach in sich zusammen -die Revolution hatte
gesiegt.Die
Revolution von 1918 ist das einzige Ereignis von nationaler
Bedeutung, dass in Wilhelmshaven
stattgefunden hat. Es ist zwar richtig, dass die Institution des
"Arbeiter- und Soldatenrates" nicht von Dauer war - dessen
letzte Sitzung fand am 26. Dezember 1918 auf dem alten
Linienschiff "Kaiser Wilhelm II"
statt, aber sie machte doch den Weg frei für die Wahlen zur
Nationalver-sammlung am 19. Januar 1919, in der das deutsche Volk
zum ersten und bislang letzten Male von seinem Recht auf
Selbstbestimmung Gebrauch machte. Erst in diesem Akt konstituierte
sich das deutsche Volk als "Nation" und ent-schied sich
zugleich, und das auf Dauer, wie sich zeigen sollte, für den
demo-kratischen Rechtsstaat, den wir seither haben, und der von
den "Nationalen" seit jeher, auch jetzt, heftig bekämpft
wird. Wenn das Ereignis in Deutschland
und schon gar nicht in Wilhelmshaven, wie das bei analogen
Vorgängen in den USA
und Frankreich
bekanntlich ge-schieht, gefeiert, an der Jade sogar
schändlicherweise verleugnet wird, so liegt eine der Ursachen
darin, dass die Revolution die Folge einer militärischen
Niederlage war, die darüber hinaus von der Marine
als moralische Blamage em-pfunden wird, weil die Flotte, nachdem
sie über vier Jahre hindurch nutzlos im Hafen gegammelt
hatte, sich faktisch selbst aufgelöst hatte, statt mit
weh-ender Flagge im Kampf mit dem Feind in der Nordsee ruhmvoll zu
versinken, wie sich das nun mal so gehört. Dieser militärisch
sinnlose und politisch schäd-liche Befehl, motiviert allein
durch den Standesdün-kel einer Kaste, die keine Funktion
mehr hatte, gegeben von einem Admirals, der selbst in Berlin an
seinem unsinkbaren Schreibtisch blieb, blieb unausgeführt,
weil den Offizieren die eigenen Leute wegliefen, was nur mö-glich
war, nachdem diese ihre mora-lische Autorität eingebüßt
hatten. Die Deutsch-Nazi-Onalen haben aus diesem Vorgang gelernt,
dass weder die Propaganda noch die repression mehr nützen,
wenn dieser emotionale Zustand einmal eingetreten ist, wenn sich
also die Massen dem Herrschaftsanspruch einer Elite verweigern.
Damit das nicht eintritt, muss also beispielsweise die moralische
Leistung jener namenlosen Heizer auf der "Thüringen" und
der "Helgoland", wie auch auf den anderen Dickschiffen der
Hochseeflotte, negiert, mehr noch, aus dem kollektiven Gedächtnis
des deutschen Volkes getilgt, zumindest muss der Vorgang dann,
wenn er zur Sprache kommen muss, beispielsweise in einem
Geschichtspunkt, als krimineller Akt der Gehorsamsverweigerung
diffamiert, ja, kriminalisiert werden. Um das zu erreichen, hat es
natürlich nicht an dem Versuch gefehlt, den verbrecherischen
Befehl, der die Kamikaze-Fahrt der ganzen Flotte auslösen
sollte, irgendwie zu rechtfertigen, was natürlich nie
gelungen ist - es gab nämlich keine militärischen
Gründe, die dem Vorhaben einen Sinn gegeben hätten: Der
Krieg war nun einmal durch die Schuld Kaiser Wilhelms II. und
seiner Entourage verloren, und selbst ein taktischer Sieg wäre
angesichts der Überlegenheit der britischen und
amerikanischen Flotte völlig ausgeschlossen gewesen, ganz
abgesehen davon, dass es eine Rückkehr nicht gegeben hätte
- das lehrt ein Blick auf die Seekarte. Dennoch ist es in den
folgenden Jahrzehnten dann den Deutschnationalen - zum Teil bis
heute - gelungen, Ursache und Wirkung zu vertauschen, indem sie
den Eindruck erweckten, dass die Revolution die Niederlage zur
Folge gehabt habe, während diese in der Tat die Konsequenz
einer falschen, ja, auch nach damaligen Kriterien
verbrecheri-schen Politik war, für die letztendlich Kaiser
Wilhelm II.
die Verantwortung trug, der aber nie zur Rechenschaft gezogen
wurde - im Gegenteil: er konnte, nachdem er den Tod von
Millionen Menschen zu vertreten hatte, in Ruhe in den
Niederlanden
von seinem Vermögen zehren, ja, noch im Jahre 2004 war es
möglich, dass in Oldenburg
so etwas wie ein verpäteter Kaiser-Wilhelm-Kult angestoßen
wurde, als Jörg Michael Henneberg
mit Hilfe der Oldenburgischen Landschaft und der Stadt
Wilhelmshaven eine Gesellschaft gründeten, deren Aufgabe es
war, die (nicht vorhandenen) kulturellen Leistun-gen des letzten
deutschen Kaisers zu würdigen, der während seiner
Regie-rungszeit sein Möglichstes getan hatte, um die
Demokratie in Preußen und im Reich zu verhindern und nach
seiner Abdankung sich nach schlimmsten Ver-mögen bemühte,
die Weimarer Verfas-sung zu stürzen, womit er seinem
Nach-folger im Amt und im Geiste, Adolf Hitler, in die Hände
arbeitete. Ein sol-cher Mann wird, dank der oldenburgi-schen
Landschaft, in Wilhelmshaven ge-feiert, ein Köbis und ein
Reichpietsch hingegen hingegen bleiben unbeachtet - waren ja
auch nur Matrosen, durften also nicht die Uniform eines
Großadmirals tragen, mit der sich Kaiser Wilhelm II. noch im
Exil, als er in den Niederlanden kein Ruderboot mehr kommandierte,
schmückte. |
1918. |
Bremen:.
Die Revolution nimmt in Bremen einen besonders dramatischen
Verlauf:
- 4.
November: Im Casino "Auf den Häfen, findet eine
Versammlung statt, an der 4000 Menschen teil-nehmen. Angesichts
der allgemei-nen Unruhe in der Stadt das Verbot solcher
Veranstaltungen aufgeho-ben ist. Veranstalter ist die USPD, also
die Abspaltung der Vorkriegs-SPD von der Mehrheits-Partei, die
unter der Führung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg
seit jeher für einen Verständi-gungsfrieden mit den
Feindmächten eintritt.
- 5.
November: Am folgenden Tag findet an demselben Ort eine
Ver-sammlung der Mehrheitssozialisten statt, die tumultuarisch
verläuft, denn bislang hatten die Mehrheits-sozialisten ja
die Kriegspolitik der Reichsleitung unterstützt. Diese
Haltung fand nun auch in dieser Versammlung keine Mehrheit mehr.
- 6.
November: Demonstrationen auf dem Marktplatz, während der
Senat über die Einführung des allgemeinen Wahlrechts
bereit (bis dahin war die Wählerschaft Bre-mens in nicht
weniger als acht Klassen gegliedert). Unterdessen sammeln sich
vor dem Rathaus Kolonnen von Arbeitern aus den Großbetrieben.
Unter dem Druck dieser Massen beugt sich der Se-nat: Um 20 Uhr
verkündet Adam Fransunkiewicz vom Balkon des Rathauses aus
die Bildung eines Arbeiter- und Soldatenrates, dem nunmehr die
Behörden der Hanse-stadt nach den Regeln des
Belage-rungszustandes untersellt sind.
- 7.
November: Der "Arbeiter- und Soldatenrat" konstituiert sich.
Ihm gehören 180 Vertreter der meisten bremischen Briebe an,
sowie 30 bis 50 Delegierte der in Bremen stationierten Truppen.
Er bildet einen Aktionsausschuss mit 15 Mitgliedern, in dem nur
die USPD und Linksradikale vertreten sind (10 Unabhängige
und 5 Linke). Die Mehrheitsozialisten bleiben vor der Tür.
- 8.
November: Die Mehrheitssozia-listen, vertreten durch Karl
Deich-mann, bekennen sich zur Revo-lution. Sie dürfen
deshalb zusätzlich sechs Vertreter in den Aktions-ausschuss
entsenden, der sich damit auf 21 Mitglieder verstärkt.
- 9.
November; Die Bürgerschaft tagt und verschiebt die fällige
Wahl von zwei Senatoren. Auch der Senat hält weiter
Sitzungen ab.
- 11.
November: Der Senat hat die neue Wahlrechtsvorlage
fertigge-stellt. Sie sieht das allgemeine, geheime und direkte
Stimmrecht aller Frauen und Männer in Bremen vor. Damit sind
die Forderungen der Mehrheitssozialisten erfüllt, nicht
jedoch die der Linksradikalen, die die "Diktatur des
Proletari-ats" anstreben.
- 13.
November: Die liberalen Parteien und Gruppen, denen natürlich
die ganze Richtung nicht passen konnte, bilden unter dem Vorsitz
von Dr. Emil Quidde einen "Bürgerausschuss", der nun die
Opposition vertritt.
- 14.
November: Der Arbeiter- und Soldatenrat tagt im Konventssaal der
Börse, in dem sich sonst die Bürgerschaft der Stadt
versammelt. Hier verkündet Alfred Henke (USPD) die Absetzung
des Senats und der Bürgerschaft. Der Arbeiter- und
Soldatenrat soll in Zukunft die Gesetze erlassen, der
Aktionsausschuss diese ausführen. Bremen sollte Bestandteil
der deutschen Volksrepublik werden.
- 15.
November: Auf dem Rathaus wird an Anwesenheit einer großen
Menschenmenge die rote Fahne gehisst.
- 19.
November: Der Arbeiter- und Soldatenrat lehnt mit 116 gegen 23
Stimmen bei 13 Enthaltungen die Einberufung der
Nationalversamm-lung ab und fordert die Errichtung einer
sozialistischen Republik. Am 22. November fordert Johann Knief
die Bewaffnung der industriellen Arbeiterschaft und die Entferung
der Mehrheitssozialisten aus den Organen der Revoltion.
- 21.
November: Der Widerstand gegen die Mehrheit im Arbeiter- und
Soldatenrat
gewinnt jetzt an Breite: Im Offizierskasino versam-meln sich
Mehrheitssozialisten, die Vertreter bürgerlicher
Gruppierun-gen und Vertrauensmänner der Garnison. Sie
sprechen sich mit großer Mehrheit für die Wahl zur
Nationalversammlung aus.
- 21.
November: Der "Bürgeraus-schuss" hat zu einer
Versammlung im Museum am Domshof einge-laden. Hier fordern die
Vertreter des Bürgertums die Gleichberech-tigung bei der
Neugestaltung der Verhältnisse und Wahlen zur deut-schen
Nationalversammlung sowie die Wiedereinsetzung von Senat und
Bürgerschaft. Das Bürgertum wendet sich gegen den
Kommunis-mus und den proletarischen Terror.
- 23.
November: Zahlreiche Lehrer Bremens beschließen die
Gründung einer Lehrerkammer und eines Lehrerrats.
- 24.
November: Die Arbeiter-und Soldatenräte tagen im Casino.
Nun-mehr erklären sich 81 Delegierte für die Wahl zur
Nationalversamm-lung und 20 dagegen.
- 26.
November: Die Mehrheitsso-zialisten votieren für die Wahl
zur Nationalversammlung.
- 27.
November: Johann Knief grün-det die Zeitung "Der Kommuist"
- 29.
November: Kundgebung auf dem Domshof
mit Knief
als Haupt-redner, der seine Forderungen wiederholt: Ablehnung der
Natio-nalversammlung, Befürwortung der ‚proletarischen
Dikatur’ und Be-waffnung der Arbeiter. Er lässt darüber
abstimmen und behauptet anschließend, die Forderungen
sei-en "einstimmig" angenommen worden. Anschließend
geht Knief
in die Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats. Dieser stimmt
den-noch - unter turbulenten Umstän-den - mit 97 Stimmen
für die Nationalversammlung (56 Gegen-stimmen und 56
Enthaltungen). Inzwischen waren Demonstranten in den Saal
eingedrungen, während es draußen zu Schlägereien
kam. Als die Mehrheitssozialisten den Saal verlassen hatten,
gingen die weiteren Forderungen glatt durch. Insbesondere wurde
die Bewaff-nung der Arbeiter befürwortet, darüber
hinaus wurden Neuwahlen zu den Arbeiter- und Soldatenräten
beschlossen, die zum Ziel hatten, die Mehrheitssozialisten
auszu-schließen. Außerdem wollten die Linken die
"Bremer Bürger-Zei-tung" besetzen. Schwarzwälder
urteilt über diesen Prozess der fortschreitenden
Radikalisierung: "Die Vorgänge vom 19. November hatten mit
einer auf Mehrheitsent-scheidungen beruhenden Demokra-tie nichts
mehr zu tun. Es fehlte eine halbwegs vernünftige
Diskus-sion." (offenbar war auch nicht mehr ganz klar, wer
befugt war, über die Anträge abzustimmen und wer nicht.
Zusatz d. Verf.) (Schwarzwälder: Geschichte der Freien
Hansestadt Bremen. III, S. 35) Der Autor kritisiert vor allem die
turbulenten Versammlungen und den ständigen Druck der
Demonstranten. Er meint dazu: "Nüchtern ausgedrückt:
Der Idee nach war das Rätesystem eine Dik-tatur der
demokratisch verfassten ‚Arbeiterschaft’ bzw. des
‚Pro-letariats’ über das Bürgertum mit dem Ziel
einer klassenlosen Gesellschaft. In Bremen aber ging die
Entwicklung dahin, dass eine radikale Gruppe eine Diktatur über
die Arbeiterschaft und das Bürger-tum auszuüben
trachtete." Mit meinen Worten: Was in Russland unter der
Führung Lenins ins Werk gesetzt wurde, scheiterte unter der
Leitung von Johann Knief in Bremen - glücklicherweise.
- 2.
Dezember: Der Geschäftsführer der Druckerei Schmalfeldt
& Co weigert sich, die "Bürger-Zei-tung" an
Delegierte des Arbeiter- und Soldatenrates zu übergeben.
- 8.
Dezember: Der Arbeiter- und Soldatenrat verbietet eine
bürger-liche Kundgebung, die auf dem Marktplatz stattfinden
sollte. Der Bürgerausschuss schickt einen Protest gegen
diese Maßnahme an die Reichsregierung in Berlin
- 8.
Dezember: Im Bürgerausschuss tritt Dr. Emil Quidde als
Vorsit-zender zurück und wird durch den Reeder Adolph Vinnen
ersetzt.
- 11.
Dezember: Die Reste des Reserve-Infanterie—Regiments 213 werden
auf dem Marktplatz vom Arbeiter- und Soldatenrat feierlich
empfangen. Bei der Entlassung der Soldaten gab es keine Probleme.
- 12.
Dezember: Der Arbeiter- und Soldatenrat lässt 22 Offiziere
und bürgerliche Aktivisten verhaften. Die Männer werden
zwar am nächsten Tag wieder frei gelassen, dennoch zeigt der
Vorfall, wohin die Reise geht.
- 17.
Dezember: Neue Wahlordnung zum Arbeiterrat. Wahlberechtigt waren
nur Arbeiter und Arbeite-rinnen, die den Freien Gewerk-schaften
oder einer der drei sozialistischen Parteien angehör-ten.
- 21.
Dezember: Die USPD über-nimmt die "Bremer
Bürger-Zei-tung".
- 25.
Dezember. Die bürgerliche "Weser-Zeitung" wird bis zum
27. Dezember verboten. Dann darf auch das Bremer Tageblatt bis
zum 1. Januar 1919 nicht erscheinen.
- 30.
Dezember: Die "Internationa-len Kommunisten" in Bremen
tre-ten der neu gegründeten Kommu-nistischen Partei
Deutschlands bei.
|
1918,
6. 11. |
Bremerhaven/Geestemünde/Lehe:
Auch hier bildet sich ein Soldatenrat, jedoch erreicht der
Festungskommandant, Vi-zeadmiral Schröder,
einen Ausgleich mit den Vertretern der Marine
und der Ar-beiterschaft: Er bleibt im Amt, arbeitet aber mit dem
Arbeiter- und Soldatenrat
zusammen. Dadurch bleiben den Unter-weserstädten größere
Gewalttätigkeiten erspart. Für Bremerhaven und die
an-deren Unterweserstädte hat die Nieder-lage, für die
Kaiser Wilhelm II. und seine Generäle verantwortlich waren,
enorme Konsequenzen: Der Norddeutsche Lloyd
büßt seine ganze Flotte ein. Es bleiben eigentlich nur
noch Schlepper und Barkassen übrig. Von den 263 Einheiten,
die 1914 die deutsche Fischereiflotte bildeten, waren 82 Dampfer
übriggeblie-ben. Hinzu treten die enormen sozialen
Verwerfungen, die mit der Auflösung des Feldheeres verbunden
waren, während die Lebensmittelnot ja keineswegs be-hoben
war, weil die Blockade fortgesetzt wurde. Das alles wurde an der
Unter-weser
noch dadurch komplizierter, dass wir es ja mit zwei Ländern
und zwei Städten, sowie einer "Landgemeinde", nämlich
Lehe, zu
tun haben, die mit ihren 35.000 Einwohnern die größte
Kommune ist, aber die geringsten Rechte hat. |
1918,
19. 11. |
Wilhelmshaven:
Die 16 modernsten Dickschiffe der Hochseeflotte
und acht Kleine Kreuzer laufen aus, um in dem britischen
Stützpunkt Scapa Flow
inter-niert zu werden. Dort trifft der Verband am 21. November
1918 ein. Die Schiffe versenken sich in der Annahme, der
Waffenstilstand sei abgelaufen, am 21. Juni 1919 selbst, um nicht
an die Alliierten ausgeliefert zu werden. |
1918 |
Esens:
Die Ostfriesischen Muschelkalk-werke
nehmen ihren Betrieb auf. Verar-beitet wurden in zwei Brennöfen
die Schalen der Herzmuscheln, die man in Massen aus dem Watt
holte. In den zwanziger Jahren waren die Muschel-kalkwerke der
größte Arbeitgeber in Esens. Der Betrieb wurde 1974
einge-stellt. |
|