Dr. Klaus Dede
1. Juni 1935 - 5. Mai 2018

-1932-1933-

1932, 26. 2. Bremen: "Karstadt" eröffnete seine Pforten. Das Warenhaus hatte sechs Stockwerke, acht Rolltreppen und fünf Aufzüge. Am 6. Oktober 1944 wurde der Bau durch Bomben zerstört, aber bis 1952 wieder aufgebaut.
1932, 10. 4. Bremen: Die Kirche der Hohentorsge-meinde wird eingeweiht. Grundstein-legung 25. August 1931. 1944 zerstört. 1966 wird die neue Hohentors-Kirche eingeweiht.
1932, 6. 7. Bremen: Das Deutsche Kolonial-Eh-renmal wird eingeweiht. Der aus Klein-kern gemauerte zehn Meter hohe Elefant von F. Behn sorgt bis heute für Diskus-sionsstoff. Die Geschichte der deutschen Kolonien ist ja keineswegs so harmon-ische und nett, wie es die deutsch-nationale Propaganda gerne hätte - aber sie ist seit 1916 spätestens abge-schlossen.
1932, 11. 7. Bremen: In der Stadt wird ein Luftschutz-Beirat gebildet.
1932, 20. 7. Bremen: Adolf Hitler spricht im Weser-stadion.
1932, 30. 9. Bremerhaven/Wesermünde: Streik der Maschinisten, Heizer und Matrosen in allen Reedereien. Es geht um die Ab-wehr von Lohnkürzungen und die Strei-chung von freien Tagen. Die Ausstände versickern im Laufe des Novembers. Die Ergebnisse sind unterschiedlich. Gleichzeitig streien bis zum 4. Novem-ber 1932 die Fischarbeiter und Fischar-beiterinnen.
1932 Bremerhaven: Gründung des Wasser-sportvereins "Frohe Fahrt".
1932, 8. 8. Blexen: Vor Blexen wassert das Flug-boot DO X, das von Dornier eigentlich für den Transatlantik-Verkehr gebaut worden war, sich aber als zu schwer-fällig und zu langsam erwies. Die Maschine hatte eine Spannweite von 48 Metern, war 40,5 Meter lang und entwickelte eine Reisegeschwindigkeit von 210 km/h. Angetrieben wurde das Boot von 12 Motoren.
1932, 28. 5. Blexen: Bei einer Demonstration der KPD in Einswarden schießt die Polizei. Es gibt 25 - 30 Verletzte.
1932, 26. 7. Blexen: 1500 Anlieger protestieren ge-gen die Rauchschäden durch die Metall-werke, nachdem 14 Pferde krepiert sind. Es wird ein "Zweckverband gegen Rauchschäden an der Unterweser" gegründet.
1932 Nordenham: Gründung der Gartengenos-senschaft"Blüh auf". Auf 5,4 Hektar Land entstehen 86 Parzellen. Bis heute einer der aktivsten Kolonien dieser Art weit und breit.
1932, 10. 4. Sillens: Der Sozialdemokrat Martin Pauls wird auf offener Straße von einem SA-Mann erschossen. Er war das erste Op-fer des Naziterrors, was auch so ver-standen wurde. Seine Beerdigung ge-staltete sich deshalb zu einer letzten Demonstration der alten Sozialdemokra-tie in Nordenham. Nach der Befreiung pflegte der Ortsverein Einswarden der SPD in jedem Jahr einen Kranz auf dem Grab von Martin Pauls niederzulegen, eine Übung, die seit einigen Jahrzehnten eingestellt worden ist.
1932, 2. Mai Rodenkirchen: Der Führer der NSDAP, Adolf Hitler, spricht in der Reithalle. (Im Freistaat Oldenburg versuchen NSDAP und KPD gemeinsam, durch einen Volksentscheid die Auflösung des Land-tages und Neuwahlen durchzusetzen, was ihnen auch gelingt. Die Folge ist, dass die Nazizeit in Oldenburg ein halbes Jahr früher als im übrigen Reich beginnt. NSDAP und KPD waren sich zwar auch in Oldenburg im Prinzip spinnefeind, indes einig in der Ablehnung der demo-kratischen Weimarer Republik. Die Kommunisten wollten eine Nazi-Regie-rung in Kauf nehmen, weil sie hofften, dass sie nach deren Scheitern selbst an die Macht kommen würden.
1932 Brake: Niederdeutsche Bühne gegrün-det. Mitbegründer ist der sächsische Schriftsteller Karl Bunje. Sein Haupt-werk ist der "Etappenhaas"
1932, 8. 8. Wilhelmshaven: Die DO X, geführt von Kapitän Christiansen, landet auf der Jade. Das Wasserflugzeug konnte 72 Passagiere aufnehmen und war für den Transatlantik-Verkehr bestimmt, erwies sich jedoch als Fehlkonstruktion.

-1933-

1933 Bremen. Das Schwimmbad in Horn wird eröffnet.
1933, 25. 2. Bremen. Die kommunistische "Arbei-ter-Zeitung" wird zunächst für sechs Tage verboten. Am 2. März 1933 wird das Verbot "bis auf weiteres" verlängert.
1933, 1. 3. Bremen: Nach einer Kundgebung der "Eisernen Front" (einem Zusammen-schluss der SPD und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold) schiessen SS-Män-ner auf einige heimkehrende Reichsban-nerleute, von denen Johann Lücke am folgenden Tage stirbt. Er ist also das erste Opfer des Nazi-Terrors in Bre-men. Gegen die Täter wird zwar ein Verfahren eröffnet, aber später auf Grund eines Amnestiegesetzes nieder-geschlagen. Allerdings erhielt der Mör-der 1952 eine geringe Strafe.
1933, 1. 3. Bremen: Kundgebung aller jüdischen Organisationen Bremens gegen die Nazis.
1933, 3. 3. Bremen: Der Senat verbietet die sozial-demokratische "Bremer Volkszeitung" bis zum 9. März Die bremische Regie-rung ist eigentlich gegen diese Maßnah-me, meint sich aber dem Druck des Reichsinnenministers Frick fügen zu müssen.
1933, 6. 3. Bremen: Die Nazis zwingen die Senato-ren der SPD zum Rücktritt. Der Nazi Dr. Markert wird "Polizei-Senator".
1933, 7. 3. Bremen: Die Beerdigung des Reichsban-ner-Mannes Johann Lücke auf dem Wal-ler Friedhof wird zur letzten Demonstra-tion der SPD und des Reichsbanners in Bremen bis zur Befreiung im Jahre 1945. Hans Hackmann vom Reichsbanner, Jo-sef Böhm von der SPD und Albert Götze als Vertreter der Freien Gewerkschaften können noch einmal öffentlich sprechen, dann war Schluss. Bis zum Verbot der SPD waren nur noch interne Mitglieder-versammlungen zugelassen.
1933, 8. 3. Bremen: Volkshaus und Volkszeitung werden von Nazis durchsucht.
1933, 10. 3. Bremen: Die Bürgerschaft beschließt (mit den Stimmen der SPD) ihre Auflösung. Sie folgt damit dem Druck der NSDAP.
1933, 16. 3. Bremen: Der Rumpf-Senat Bremens tritt zurück, hofft aber "geschäftsführend" bis zu den Neuwahlen und der verfassungsmäßigen Neubildung der Stadtregierung im Amt bleiben zu dürfen.
1933, 18. 3. Bremen: Die Nazis zwingen die restli-chen demokratischen Senatoren dazu, ihre Ämter niederzulegen und bilden nun einen eigenen Senat mit Dr. Markert als Bürgermeister der Stadt.
1933, 28. 3. Bremen: In der Hansestadt werden Eiserne Front und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold verboten.
1933, 29. 3. Bremen: Senator Laue gründet eine "Zentralstelle zur Bekämpfung des Bolschewismus". Die Behörde wird am 16. Juni 1933 aufgelöst. Ihre Aufgaben übernimmt die Gestapo. Folterzentralen der Gestapo waren in Bremen das "Gosselhaus" und in Bremerhaven ein Minensuchboot im Alten Hafen, das als "Gespensterschiff" bezeichnet wurde.
1933, 31. 3. Bremen: In der Hansestadt wird ein Kommissariat für Flugwachen, Luft- und Gasschutz eingerichtet. Ein Jahr später, am 15. März 1934, entsteht ein staat-liches Luftamt in Bremen, das seit dem 25. Mai 1934 "Behörde für Luftschutz" hieß. Damit beginnt die Aufrüstung in Bremen.
1933, 18. 4. Bremen: Die Nazis besetzen das Volks-haus. Albert Götze, Oskar Schulze, Emil Sommer, und andere werden in "Schutzhaft" genommen. Sie wurden später wieder freigelassen, als sich die Beschuldigungen, die gegen sie erhoben wurde, als haltlos erwiesen. Es handelte sich also schlicht um Verleumdungen, die aber für die Täter folgenlos blieben. Die Opfer mussten froh sein, wenn sie mit einigen Monaten Freiheitsentzug und wahrscheinlich auch mit einigen Prügeln davon kamen. Immerhin: Dass sie noch freikamen, war möglich, als die Nazis sich ihrer Macht noch nicht ganz sicher waren. Später kümmerte sich die Gesta-po natürlich nicht mehr um "Beweise".
1933, 20. 4. Bremen: Über dem Volkshaus weht die Hakenkreuzfahne als Zeichen, dass die Nazis von dem Zentrum der Arbeiterbe-wegung Besitz ergriffen hatten.
1933, 29. 3. Bremen: Der Senat beschließt, dass die bremischen Behörden nicht mehr in "jüdischen" Geschäften einkaufen dürfen.
1933, 31. 3. Bremen: In den "Mißler-Hallen" rich-tet der Bremer Senat ein Konzentra-tionslager ein, das unter die Obhut der SS kam, in der sich der Nazi Otto Löb-lich durch besondere Brutalität aus-zeichnete. In zwei Sälen waren zunächst bis zu 170 Häftlinge untergebracht, die sehr mangelhaft versorgt wurden. Die Brutalität des Wachpersonals wurde vom Senat nicht gebilligt, Senator Laue setzte deshalb durch, dass am 9. Mai die SS durch eine Wachmannschaft der SA ersetzt wurde. Diese war zunächst hu-maner, ging dann aber ebenfalls zu bru-talen Misshandlungen der Gefangenen über. Das KZ Missler wurde am 11. September 1933 aufgelöst. Ein Teil der Gefangenen wurde nach Langlütjen II verlegt, das seit dem 1. September 1933 als KZ eingerichtet war, ein anderer Teil kam auf einen Kahn in der Ochtum-mündung. Dieses Lager ging dann als KZ "Ochtumsand" in die Geschichte ein. Einige Häftlinge wurden dann auf Grund der einzigen Amnestie, die Hitler erließ, im November 1933 entlassen. Andere kamen zu Weihnachten 1933 frei. Das KZ Ochtumsand bestand bis zum Mai 1934, Das KZ Langlütjen II wurde am 25. Juli 1934 aufgelöst.
1933, 1. 4. Bremen: Wie überall im Reich werden "jüdische" Geschäfte und Praxen von der SA boykottiert. Betroffen sind 62 Geschäfte sowie 13 Praxen von Ärzten und Rechtsanwälten. 1933 gab es in Bremen 1438 Juden im eigentlichen Sinne, dh. Menschen, die der mosai-schen Religion angehörten. Nach der Definition der Nazis galten jedoch solche Personen als Juden, die einen jüdischen Vater und eine jüdische Mutter hatten. Stammte jemand nur von einem jüdi-schen Vater oder einer jüdischen Mutter ab, handelte es sich um einen "Halb-juden", falls einer der Großeltern jü-disch gewesen war, haben wir es mit einem Vierteljuden zu tun und so weiter. Dabei war stets die Religionszugehö-rigkeit maßgebend, denn die "rassi-sche" Zuordnung war ja bei Toten nicht mehr möglich, ganz abgesehen, dass sie sowieso unsinnig ist. Wenn also in der Generation der Großeltern jemand zum Judentum übergetreten war, wurde er automatisch zum "Rassejuden", ein Jude hingegen, der sich gleichzeitig hatte taufen lassen, blieb nach Ansicht der Nazis ein Jude. Dass dies alles nichts weiter als blühender Blödsinn war, konnte auch 1933 jeder auf dem Wege des Nachdenkens feststellen. Wenn das nicht geschah, dann aus Grün-den, die mit der Ideologie nichts zu tun hatten, sehr viel aber mit persönlichem Opportunismus und mit chemisch reiner Raffgier. Am Judenboykott wird deutlich, dass dem deutschen Volk bereits vor dem 1. April 1933 das moralische Rückgrat gebrochen war, jedoch nicht von den Nazis, sondern von den Christen und Deutschnationalen, die seit jeher mit großer Intensität die Hetze gegen die Juden betrieben hatten. Diese Saat ging jetzt auf.
1933, 22. 4. Bremen: Der Senat erlässt ein "Vertre-tungsverbot" für alle "nichtarischen" Rechtsanwälte. Die jüdischen Notare müssen sich in Zukunft "der Geschäfte enthalten".
1933, 22. 4. Bremen: Auf dem Hohentorsplatz ver-brennen SA-Männer schwarz-rot-gol-dene sowie rote Fahnen und Uniformen der "Eisernen Front" und des "Roten Frontkämpferbundes".
1933, 25. 4. Bremen. Kundgebung der Deutschen Christen im Casino mit Senator Heider, NS-Kreisleiter Paul Wegener und Pastor Weidemann, der fordert, die Kirche von allem Jüdischen zu entlasten. Dagegen sprechen sich am 28. April 1933 36 von den 51 bremischen Pastoren aus. Für sie sollen Bibel und Bekenntnisschriften die Grundlage der Kirche bleiben.
1933, 1. 5. Bremen: Tag der nationalen Arbeit. Die Nazis haben den 1. Mai zum Feiertag er-klärt, der überall im Reich mit Umzügen und Reden begangen wird, an denen sich natürlich auch die Kirchen beteiligen. Im Bremen finden im Dom, in der Liebfrau-enkirche und in der Stephanikirche Festgottesdienste statt.
1933, 2. 5. Bremen: "Gleichschaltung" der Ge-werkschaften. 30 Gewerkschaftsfunk-tionäre werden festgenommen. 300 So-zialdemokraten und Kommunisten befin-den sich bereits in Konzentrationslagern.
1933, 4. 5. Bremen: Die "NSBO" (Nationalsozia-listische Betriebsorganisation) überneh-men die Büros der Gewerkschaften. Die NSBO existierten in Bremen seit 1931, war aber nur eine Splitterorganisation, die Ende 1932 1500 Mitglieder hatte (gegen mehr als 44.000 in den sozialistischen Gewerkschaften, die zu dieser Zeit bereits durch die Wirt-schaftskrise geschwächt waren)
1933, 5. 5. Berlin: Die Bürgermeister der drei Han-sestädte halten Hitler Vortrag über ihre Wünsche. Dabei entscheidet der "Füh-rer", dass der Gauleiter Röver "Reichsstatthalter" im Freistaat Ol-denburg und in Bremen wird.
1933, 10. 5. Bremen. Wie im ganzen Deutschen Reich werden auch in Bremen Bücher ver-brannt. Die Aktion fand auf einem Spielplatz an der Nordstraße statt. An den Vorgang erinnert heute ein Gedenk-stein in der Bürgermeister-Deichmann-Straße. In den Bibliotheken wurden un-erwünschte Bücher in den Jahren 1935 und 1936 ausgesondert.
1933, 10. 5. Bremen: Das Vermögen der SPD in Höhe von 885.000 RM wird eingezogen. Die Verwaltung übernimmt ein Treuhänder. In dem Frühjahr wird die SPD bereits von den neuen Machthabern mit großer Brutalität verfolgt. Bei der Besetzung des Volkshauses werden am 18. April bereits fünf Gewerkschafter "in Schutzhaft" genommen, also in ein Konzentrationslager geschickt. Verhaftet wurde ebenfalls der Reichstagsabgeord-nete und Chefredakteuer der "Bremer Volkszeitung" Alfred Faust. Er wurde im KZ Mißler von SA-Schlägern übel misshandelt. Angesichts solcher Vor-gänge, die in ähnlicher Weise überall im Reich stattfanden, ist es umso unver-ständlicher, dass die Reichstagsfraktion der SPD am 17. Mai 1933 in Berlin der Regierungserklärung Hitlers zustimmte. Damit billigte sie nicht nur den Austritt aus dem Völkerbund, den "der Führer" bei dieser Gelegenheit ankündigte und damit die daraus folgende Aufrüstung, sondern auch den SA-Terror, dessen Opfer bereits die eigenen Genossen wurden, und die Judenverfolgung. Wenn es in der Geschichte einen Akt krie-cherischer kollektiver Verblödung einer Partei gibt, dann haben wir ihn hier vor Augen, denn die Abgeordneten der SPD hätten
  • damals der Sitzung fernbleiben
  • sich der Stimme enthalten
  • oder dagegen votieren können,
aber nein, sie sind gehorsam in der Kroll-Oper erschienen und stimmten "geschlossen", wie Domarus in seinem Sammelwerk vermerkt, der "Regier-ungserklärung" Hitlers zu. (cf. Doma-rus: Hitler, 1. Halband S. 279). Und da-mit nicht genug: Am 19. Juni 1933 entblödete sich der Berliner Vorstand der SPD nicht, seine jüdischen Genossen aus dem Gremium auszuschließen. Vor allem der Beschluss vom 19. Juni 1933 lehrt, dass der Antisemitismus, den die SPD offiziell ablehnte, tatsächlich unter den Genossen Konsens war -und ich wundere mich, dass diese in Oldenburg bis heute an dem "Ehrenbürger Hinrichs"festhalten! Die Partei, die schon vor dem ersten Weltkrieg auf die moralisch Rutschbahn geraten war, plumpste so folgerichtig in den braunen Sumpf, aus dem sie sich bis heute nicht völlig herausgearbeitet hat. Im Jahre 1933 wirkte die Haltung der Parteispitze auf die übrigen Genossen im Reich als Aufforderung, sich nunmehr den neuen Verhältnissen bedingungslos anzu-schließen, was für die Älteren bedeutete, dass sie sich in das Privat-leben, so weit das ging, zurückzogen (aus dem sie nach dem Juli-Putsch im Jahre 1944 grausam hervorgeholt wur-den) und für die Jüngeren, dass sie mitmarschierten, bis alles in Scherben fiel und bis dahin möglichst kassierten. Dass der Exilvorstand eine andere Haltung einnahm und sozusagen die anständige SPD vertrat, sei hier ausdrücklich vermerkt, dennoch lehrt uns der Vorgang, welchen Weg viele Sozialdemokraten, sobald sie, getrennt von ihrer Partei, den eigenen Weg suchen mussten, dann während der Naziherrschaft nahmen. Und ich wun-derte mich weit nach der Befreiung, dass ich in der SPD der Wesermarsch und Oldenburgs "Genossen" antraf, die sich zu vorgerückter Stunde und bei steigendem Alkokolpegel immer noch als gesinnungsfeste Nazis entpuppten, die dann ihren Antisemitismus auch nicht mehr verbargen. So weit ich weiß, ist diese Hälfte der Parteigeschichte nie geschrieben worden.
1933, 16. 6. Bremen. Gründung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Bremen. Der Vorläufer war die "Zentralstelle zur Bekämpfung des Bolschewismus", die Polizeisenator Laue am 29. März 1933 ins Leben gerufen hatte. Am 22. Dezember 1933 wurde die Gestapo in Bremen (wie überall) dem "Reichsfüh-rer SS", Heinrich Himmler unterstellt.
1933, 10. 5. Bremen: Das Vermögen der SPD in Höhe von 885.000 RM wird eingezogen. Die Verwaltung übernimmt ein Treuhänder. In dem Frühjahr wird die SPD bereits von den neuen Machthabern mit großer Brutalität verfolgt. Bei der Besetzung des Volkshauses werden am 18. April bereits fünf Gewerkschafter "in Schutzhaft" genommen, also in ein Konzentrationslager geschickt. Verhaftet wurde ebenfalls der Reichstagsabgeord-nete und Chefredakteuer der "Bremer Volkszeitung" Alfred Faust. Er wurde im KZ Mißler von SA-Schlägern übel misshandelt.
1933, 12. 5. Bremen: Polizei besetzt das Partei-sekretariat der SPD sowie den Verlag und die Druckerei J. H. Schmalfeldt und Co. Die Vorstandsmitglieder Kaisen, Mester und Böhm werden festgenom-men.
1933, 16. 6. Bremen. Gründung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Bremen. Der Vorläufer war die "Zentralstelle zur Bekämpfung des Bolschewismus", die Polizeisenator Laue am 29. März 1933 ins Leben gerufen hatte. Am 22. Dezember 1933 wurde die Gestapo in Bremen (wie überall) dem "Reichsfüh-rer SS", Heinrich Himmler unterstellt.
1933, 6. 7. Bremen: Der Senatskommissar für kirliche Angelegenheiten, Otto Heider, ernennt einen neuen Kirchenausschuss, der mehrheitlich aus Deutschen Christen besteht. Der bisherige Kirchenausschuss und Kirchentag waren bereits am 30. Jun 1933 aufgelöst worden.
1933, 6. 7. Bremen. Pastor Emil Felden (St. Martini) wird seines Amtes enthoben. Felden war Sozialdemokrat.
1933, 18. 7. Bremen: Der Senat ordnet an, dass in den Behörden alle Beamten, Angestell-ten und Arbeiter mit "Heil Hitler" zu grüßen haben. Wer das unterließ wurde seit dem 27. 7. mit einem Disziplinar-verfahren bedroht.
1933, 27. 7. Bremen : Zwei Mitglieder der Internatio-nalen Vereinigung der Bibelforscher wer-den verhaftet, weil sie die Vertei-lung von Broschüren vorbereitet hatten. Der Verein selbst war bereits am 30. Juli 1933 verboten worden.
1933, 22. 8. Bremen: Einweihung des Rehbrunnens in den Wallanlagen. Der Schöpfer war Ernst Gorsemann.
1933, 27. 9. Bremen. Eingliederung der bremischen Kirche in die evangelische Reichskirche, die nach dem Führerprinzip gegliedert ist. Dagegen protestieren zwölf Gemein-den unter Führung der Stephani-Ge-meinde und der Gemeinde von St. Wille-hadi.
1933, 1. 10. Bremen: SA-Männer brechen in das jü-dische Gemeindehaus am Buntentor-steinweg ein und stehlen neben wert-vollen Kultgegenständen vor allem die Mitgliederkartei. Die Polizei sieht untätig zu.
1933, 25. 11. Bremen. Der Autobahnbau bei Bremen beginnt. Am 25. Juli 1936 Einweihung der Strecke Hamburg-Bremen. 15. November 1962: Abschluss der Arbeiten am Bremer Kreuz. Am 14. November 1968 wurde die seit dem Ende des Ersten Weltkrieges geplante "Hansa-Linie" fertig. Am 21. November 1975 Eröffnung der Strecke Bremen-Bremerhaven. Die Daten machen sehr schön deutlich, dass der Autobahnbau, eines der liebsten Objekte der Nazi-Propaganda, während der sog. "Sys-temzeit" geplant und sogar zum Teil in Angriff genommen, aber dann in der Nazizeit ausgeführt und dann nach der Befreiung zu Ende geführt wurde. Die Motorisierung Deutschlands ist also durchaus kein Verdienst der Regierung Hitlers - auch an diesem Beispiel lässt sich sehr schön deutlich machen, dass die Nazis nichts Konstruktives geleistet haben, buchstäblich nichts.
1933, 18. 7. Bremen: SA-Männer vertreiben jüdische Viehhändler vom Schlachthof. Die Ge-stapo bezeichnet später allerdings die Aktion als "unerwünscht".
1933, 22. 6. Bremen: Nachdem die SPD am 22. Juni auf Reichsebene verboten worden war, verhaftet die bremische Polizei zwanzig Sozialdemokraten, die meisten Abgeord-nete der Bürgerschaft, und verbringen sie in Konzentrationslager.
1933 Bremen: Die Straßenbahnlinie 7 wird bis Rablinghausen-Bakeweg verlängert. 1965 stillgelegt.
1933 - 1934 Bremen. Die Katrepeler Siedlung ent-steht. Sie besteht aus 30 Nebener-werbssiedlungen. Eine davon bezieht Wilhelm Kaisen, von 1928 bis 1933 Senator und dann nach der Befreiung Bürgermeister Bremens, der nach Smidt als der zweite Gründer der Freien Han-sestadt bezeichnet werden kann. Heute befindet sich auf seinem Hof die "Do-kumentationsstätte Wilhelm Kaisen". Übrigens wird an dem Beispiel deutlich, wie die Nazis mit Sozialdemokraten umgingen: Einerseits wurde Kaisen, wie wir gesehen haben, durchaus verhaftet, damit er lernte, was ihm, im Falle wie-terer Widersetzlichkeit blühen konnte, andererseits erhielt er seine Nebener-werbstelle, die ihn zur Dankbarkeit gegen den "Führer" und zum Schwei-gen verpflichtete - und wer seine fünf Sinne noch beisammen hatte, hielt sich an diese Spielregel. Ich werfe also we-der Kaisen noch irgend einem anderen Sozialdemokraten vor, dass er sich duckte und schwieg, als sie mit ihren Mitteln eh nichts ändern konnten. Als Tailleyrand gefragt wurde, was er in der Zeit des "terreur" gemacht habe, ant-wortete: "J’ai survécu!" Und auch das kann, wie sich am Beispiel Kaisens lernen lässt, eine Tugend sein.
1933, 7. 3. Vegesack: Auf dem Polizeihaus wird neben der schwarz-roten Fahne, die Hakenkreuzfahne als Zeichen gehisst, dass die NSDAP auch in dieser Stadt die "Macht ergriffen" hat.
1933, 29. 3. Vegesack: Bürgermeister Wittgenstein wird beurlaubt. An seine Stelle tritt der Nazi Westphal.
1933, 20. 5. Wesermünde/Bremerhaven: Der 5. Be-zirk des Arbeiter-Turn-und Sportbun-des, in dem auch die Vereine aus We-sermünde und Bremerhaven organisiert sind, löst sich unter dem Druck der NSDAP auf, um einer "Gleichschal-tung" zu entgehen. Die Nazis hatten den Sozialdemokaten vorher alle Mög-lichkeiten genommen, weiter ihren Sport auszuüben. Die Vereine fassen dann, jeder für sich, die entsprechenden Beschlüsse, so am 10. Juni 1933 die Freie Turnerschaft Geestemünde, "da dem Verein durch die Entziehung des Benutzungsrechts der Städtischen Turn-hallen (Humboldtschule und Realschule) und des Städtischen Sportplatzes jede Möglichkeit der sportlichen Betätigung seiner Mitglieder genommen ist." ( Protokoll der letzten Generalversamm-lung. Zitiert nach: Rudolf Herbig: Wirtschaft, Arbeit, Streik, Aussperrung an der Unterweser, 1979, S. 274 )
1933, 28. 3. Wesermünde: Oberbürgermeister Becké wird beurlaubt. An seine Stelle tritt kommissarisch Julius Lorenzen.
1933, 15. 5. Oldenburg: Gemeindereform im Freistaat Oldenburg. Die bisherigen Ämter Butjadingen, Brake und Elsfleth werden zu dem neuen Amt "Wesermarsch" vereinigt, das durch die Gemeinden Jade und Schweiburg (bislang Amt Varel-Land) und Altenesch (bislang Demenhorst-Land) ergänzt wird. Aus den bis anhin bestehenden 32 Gemein-den werden nur noch elf. Diese Reform wurde nach der Befreiung durch das Gesetz vom 26. April 1948 faktisch rückgängig gemacht, indem die bisherige Gemeinde Butjadingen mit dem Sitz in Burhave wieder in die Kommunen Lang-warden, Burhave und Stollhamm zer-schlagen wurde. Die bisherige Gemeinde Abbehausen zerfiel wieder in Abbe-hausen, Esenshamm und Seefeld, die Gemeinde Jade wurde in Jade und Schweiburg aufgeteilt, Rodenkirchen verlor Schwei, und zwischen Ovelgönne und Moorriem schob sich wieder die Gemeinde Oldenbrok. Stedingen glieder-te sich in Berne und Altenesch. Die Städte Elsfleth und Brake blieben unverändert, ebenso blieb es bei der im Jahre 1933 verfügten Vereinigung der Gemeinden Nordenham und Blexen unter dem Namen "Nordenham". Landwür-den, die einzige "überflüssige Gemein-de des Landes Oldenburg", blieb beste-hen. Statt der bisherigen elf Kommunen gab es in der Wesermarsch nun deren 19. Insgesamt hat sich jedoch die "Reform der Reform" nicht bewährt, zumal sie vor allem auf dem Gebiete des Schulbaus zu Fehlinvestitionen führte (so Oberkreisdirektor Rudolf Bernhardt in: 50 Jahre Landkreis Wesermarsch 1933 - 1983, Oldenburg 1986, S. 32). Sie wurde deshalb durch die Gesetze vom 13. Juni 1973 und 3. Juli 1973 wiederum rückgängig gemacht. Wieder entstand aus den bisherigen Gemeinden Langwarden, Burhave und Stollhamm die neue Kommune Butjadingen. Die Ge-meinde Abbehausen sowie Teile der Gemeinde Esenshamm kamen zu Nor-denham. Das Atomkraftwerk in Kleinen-siel, das bislang zu Esenshamm gehörte, wurde indes zur Gemeinde Stadland ge-schlagen, die aus den Gemeinden Ro-denkirchen, Schwei und Seefeld gebildet wurde. Jade und Schweiburg firmierten in Zukunft unter dem gemeinsamen Namen Jade. Ovelgönne und Oldenbrok wurden zur Gemeinde Ovelgönne zu-sammengelegt, wobei sich Brake bis zur Bundesstraße ausdehnte. Moorriem ver-einigte der Gesetzgeber schließlich mit Elsfleth. Altenesch und Berne blieben indes getrennt. Insgesamt besteht der Landkreis Wesermarsch seitdem aus zehn Städten und Gemeinden (unsinni-gerweise macht das deutsche Gemein-derecht noch diesen Unterschied, statt nur noch, wie das in den Niederlanden seit langem geschieht, von "Gemein-den" zu sprechen.) Der Landkreis Wesermarsch blieb - trotz Bedenken - bestehen, verlor jedoch die Gemeinde Landwürden bzw. Dedesdorf sowie einige Gebietsstreifen auf dem rechten Weserufer und die Insel Harriersand gegenüber von Brake.
1933 Stedingen: In der Mündung der Ochtum hat im September 1933 das KZ-Schiff "Ochtumsand" festgemacht. Es dient bis Mai 1934 als örtliches Konzentrationslager.
1933, 30. 3. Wilhelmshaven: Reichspräsident Hinden-burg und Reichskanzler Hitler werden zu Ehrenbürgern der Stadt Wilhelmshaven ernennt.
1933 Wilhelmshaven: Die "Oberrealschule im Aufbau" (Gegründet 1906) wird in "Dietrich-Eckart-Schule" umbenannt.
1933, 1. 4. Rüstringen/Wilhelmshaven: Boykott der jüdischen Geschäfte durch die SA. Betroffen sind 35 Lokale.
1933, 1. 5. Rüstringen. In Heppens eröffnet der Or-gelbauer Alfred Führer seine Werkstatt. Das Unternehmen entwickelt sich vor allem nach der Befreiung zu einer der führenden Werkstätten des Orgelbaus in Norddeutschland, deren Produkte auch in Washington DC, Seattle und Québec zu finden sind. Bis 1983, als das Unternehmen fünfzig Jahre bestand, konnte man auf mehrere Hundert Orgelneubauten im Lande in und her zurückblicken. Alfred Führer und sein Nachfolger Schild zeichnete sich in ihren Arbeiten durch großen Respekt vor dem historischen Bestand aus, den sie nicht, wie es vor ihrem Auftreten leider ge-schah, vernichteten, sondern, wo immer möglich, erhielten und notfalls ergänzten.
1933, 1. 4. Jever: Boykott der jüdischen Geschäfte. Die Ortsgruppe der NSDAP droht: "Kein Deutscher kauft mehr bei Juden. An den Pranger alle Verräter." In der Stadt leben nur noch 100 Juden. Die anderen sind abgewandert, teils aus wirtschaftlichen Gründen, teils aber auch, um der antisemitischen Hetze zu entgehen, die in Jever schon seit langem herrscht.
1933, 1. 4. Esens: Der Boykott jüdischer Geschäfte sollte "schlagartig" um 10 Uhr ein-setzen. Rokahr: "Im allgemeinen verlief die Aktion auch nach diesem Plan. Die Esenser Nazis waren jedoch schon frü-her aktiv geworden. Sie hatten ein wirk-sameres Mittel gefunden, kaufwillige Esenser Bürger am Betreten jüdischer Geschäfte zu hindern: Am Mittwoch (also mehrere Tage vor dem geplanten Boykott-Termin d. Verf.) wurden auf Anordnung der SS sämtliche jüdischen Geschäfte geschlossen.’ Sie wurden nicht für immer geschlossen ..." (Gerd Rokahr: Die Juden in Esens. 1994, S. 177) Das ist ein bemerkenswerter Vorgang. Hatte die NSDAP in Esens die Befürchtung, dass sich in der Bevöl-kerung Widerstand gegen den Boykott regen würde (den es gelegentlich durchaus gab)? Rokahr meint an anderer Stelle, "dass die Esenser Juden tat-sächlich weitgehend integriert waren und am geselligen Leben in ihrer Heimatstadt teilnahmen, ist vielfach belegt." (Gerd Rokahr: Die Juden in Esens. 1994, S. 164) Und stellt dann weiter fest: "Die Fremdheit zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen war in der Weimarer Zeit weitgehend verschwunden. Juden und Christen waren nicht mehr zu unterscheiden - die Gegensätze mussten von den Antisemiten erst bewusst wieder aufge-baut werden." (Gerd Rokahr: Die Juden in Esens. 1994, S.165) In der Tat gab es in Esens wohl keine Figur wie Dr. Hempel in Jever. Wenn Rokahr mit seinen Feststellungen recht hat, dann wird verständlich, dass die Nazis sich am 1. April 1933 nicht auf den "spon-tanen Beifall" der "Volksgenossen" verlassen wollten und dass hier nicht, wie sonst, die SA tätig wurde, sondern die SS - was das bedeutete, hatte man ja den Zeitungen entnehmen können. Im übrigen scheint - unter dem Druck der Nazi-Propaganda - auch in Esens in den nächsten Jahren die Stimmung gekippt zu sein. Die Ausplünderung der jüdischen Geschäftsleute - 1935 sollen es noch 24 gewesen sein - wurde mit der üblichen Häme betrieben, und als der Viehhändler Karl Wolff begraben wurde, "mussten die Angehörigen auf dem jüdischen Friedhof aus der neu-gierigen Menge heraus hören: "In dieses Grab müssten alle Juden rein!" (Gerd Rokahr: Die Juden in Esens. 1994, S.183) Man wusste also, worauf die Ju-denhetze hinauslief - und billigte es. Im übrigen habe ich den Verdacht, dass Rokahr in seiner Darstellung allzu gutgläubig die nachträglichen Erzählun-gen der Christen und Deutschnationalen referiert, die natürlich nach der Befreiung ihre antisemitischen Ressenti-ments leugneten. Selbst wenn in Esens die antisemitische Hetze während der Weimarer Republik geschwiegen haben sollte, so wären die Wirkungen der 2000-jährigen christlichen Judenfeind-schaft so schnell nicht verschwunden. Und wenn es so gewesen wäre, wie Rokahr schreibt, wären die Ressenti-ments gegen die Juden nicht so schnell, innerhalb von zwei Jahren, wieder aufgeflammt - nein, Esens war ganz sicher keine Insel der Seligen, schon gar nicht für die Juden. Damit sollen die Verdienste Rokahrs in keiner Weise geschmälert werden, aber man sollte dabei auch nicht die Widerstände ver-gessen, auf die er stieß und die doch nur letzte Ausläufer jener antisemitischen Grundstimmung waren, die hier, wie überall herrschte, nur dass in Esens ein Rokahr wenigstens nachträglich so et-was wie Gerechtigkeit eintrat.